November 2020

Montag, 30. November

Seit gestern, wenn es anfängt, dunkel zu werden, leuchtet in der Offenbarungskirche wieder der Herrnhuter Stern. Anfang des 19. Jahrhunderts wurde er im Internat der Herrnhuter Brüdergemeine erfunden. Im Jahr 1722 hatte der theologisch interessierte Nikolaus Graf von Zinzendorf auf seinem Gut in der Oberlausitz Glaubensflüchtlinge aus Mähren aufgenommen, die im Zuge der Gegenreformation im Habsburger Reich verfolgt wurden. Es entstanden die Siedlung Herrnhut und die Herrnhuter Brüdergemeine. Schon bald entsandten die Brüder und Schwestern Missionare aus ihrer Gemeinschaft in die ganze Welt. Die Missionare wollten ihren Kindern die oft schwierigen Lebensbedingungen in den Missionsgebieten nicht zumuten und schickten sie auf das Internat in Herrnhut. Die Trennung von ihren Eltern über eine weite Entfernung war für viele der Kinder in der Advents- und Weihnachtszeit besonders spürbar. Anfang des 19. Jahrhunderts hatte ein Lehrer des Internats in der Adventszeit die Idee, mit den Kindern Sterne zu bauen, und so gleichzeitig die biblische Geschichte vom Stern von Bethlehem zu unterrichten und den Kindern geometrische Formen anschaulich zu vermitteln. Mit den fertigen Sternen konnten die Kinder ihre Zimmer schmücken. Die ersten Sterne damals waren weiß und rot – weiß für die Reinheit, rot für das Blut Jesu Christi. Ein Herrnhuter Buchhändler entwickelte später einen Bastelbogen zum Zusammenbauen des Herrnhuter Sterns, den er sich 1897 patentieren ließ. Ein Herrnhuter Stern muss selbst zusammengebaut werden und mindestens 25 Zacken haben. Heute leuchten sie in mehreren warmen Farben auf der ganzen Welt. Und einer leuchtet, sobald es dunkel wird, in der Offenbarungskirche.

Felix Breitling


Samstag, 28. November

Die Losung für heute lautet:

Ich will euch trösten, wie einen seine Mutter tröstet. 
Jesaja 66, 13

Und der Lehrtext dazu:

Ich will euch nicht als Waisen zurücklassen; ich komme zu euch. Denn ich lebe, und ihr sollt auch leben.
Johannes 14, 18.19

Die zwölfjährige Tochter meiner Cousine hat verkündet, dass sie nun zu alt sei, um bei ihrer Mutter auf dem Schoß zu sitzen. Es hat mich daran erinnert, wie schön auch für mich als Kind dieser Ort war – der Schoß meiner Mutti. Immer verbunden mit einem Gefühl der Geborgenheit und des Trostes. Wenn man ab 12 Jahren zu alt ist, um auf dem Schoß der Mutter zu sitzen, wo findet man dann diesen Ort? Trost und Geborgenheit brauchen wir doch ein Leben lang. 
Der Prophet Jesaja legt uns nahe, dass wir quasi virtuell so einen Ort bei Gott haben.
Ich finde wunderbar, dass Gott hier mit einer Mutter verglichen wird. Es zeigt mir, dass Gott mehr ist als „der Herr“, „der König“, „der Richter“ oder auch „der Vater“. Die feministische Theologie hat schon lange dazu gearbeitet und auf die Vielfalt der Gottesbilder – eben auch der weiblichen - hingewiesen. 
Sprachlich liegen uns die männlichen Bilder nahe, weil wir eben „der Gott“ sagen. 
Ich glaube aber, es täte uns gut, wir würden die vielen Seiten Gottes deutlicher zum Ausdruck bringen und ruhig auch von Gott in weiblichen Bildern sprechen. 

Gott, die du uns tröstest wie eine Mutter,
sei bei uns an diesem Tag. 
Lass uns deine Nähe spüren und behüte uns.
Amen

Verena Übler


Freitag, 27. November

Sie gehört zu meinen „besonderen Orten“ in München: Die U-Bahnhaltestelle Westfriedhof. Die rauen Wände in der U-Bahn-Station geben einem das Gefühl, in einer Höhle oder in einer Grotte zu sein. Alles ist in ein tiefes Blau getaucht. Der Münchner Lichtkünstler Ingo Maurer, der im Oktober 2019 verstorben ist, hat das Lichtkonzept gestaltet. 11 große Lampenschirme mit einem Durchmesser von 3,80 m, innen blau, rot und gelb lackiert, geben dem Bahnsteig ihr Licht. Die U-Bahnstation Westfriedhof ist ein Ort, der mich berührt. Manchmal denke ich mir, vielleicht hat sich jemand gedacht: Es tut den Menschen, die hier ein- und aussteigen, gut, wenn sie von Licht, Glanz und Schönheit umgeben sind.

https://www.ingo-maurer.com/de/projekte/westfriedhof/

Felix Breitling


Donnerstag, 26. November

Hängen geblieben

Herbst - die Zeit der fallenden Blätter.
Ein großer Ahornbaum vor meiner Terasse beschert mich Jahr für Jahr mit einem noch größeren Blätterhaufen. Ich finde es immer wieder faszinierend, welche Menge an Biomasse allein dieser Baum das Jahr über produziert hat.
Wie ich gelesen habe, sorgen alle Bäume, die auf der Nordhälfte der Erdkugel im Herbst ihre Blätter abwerfen, zusammen sogar dafür, dass die Erde sich dann ein klein wenig schneller dreht. Wie ein Eiskunstläufer, der seine Pirouette durch Anziehen der Arme beschleunigen kann. Groß ist der Effekt ja nicht, aber man kann die Geschwindigkeitsänderung mit sehr genauen Uhren tatsächlich messen.

Auf der Internetseite der "Bahnhofkirche" in Zürich habe ich vor einigen Tagen einen Gedanken gesehen, zu dem auch ein Ahornblatt angeregt hatte.
Hier können Sie es nachlesen: www.bahnhofkirche.ch/2020/11/16/festgespiesst/

Mathias Brandstätter


Mittwoch, 25. November

Hoffnungszeichen

Anfang November habe ich als Synodale an der Tagung der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) teilgenommen – online natürlich, nicht „in echt“. Unser Landesbischof Dr. Heinrich Bedford-Strohm, der ja zugleich noch der Vorsitzende des Rates der EKD ist, muss als solcher immer vor der Synode einen Bericht geben. In diesem Bericht hat er – ich weiß nicht mehr aus welchem Anlass – von der Sintflut-Geschichte als „Quarantäne-Geschichte“ gesprochen. Noah und seine Familie waren ja mitsamt den Tieren auf der Arche eingeschlossen. Über 40 Tage lang trieben sie im Regen dahin, und auch nachdem der Regen aufgehört hatte, dauerte es noch eine ganze Weile bis das Wasser zurückgegangen war. Quasi ein Lockdown. Sie waren in der Arche und konnten nicht raus. Wie ist es ihnen in dieser Zeit ergangen? Haben sie sich mit Geschichtenerzählen die Zeit vertrieben? Mit Liedersingen? Lagen die Nerven irgendwann blank? Die Bibel lässt das offen. Es ist ihr nicht wichtig. Wichtig ist ihr aber, von den Hoffnungszeichen zu erzählen. Der Regen hört auf. Die Sonne kommt wieder durch. Das Wasser geht zurück. Zuerst fliegt ein Rabe hin und her, aber noch war die Erde nicht wieder trocken. Dann wird die Taube losgeschickt. Beim ersten Mal kehrt sie wieder zurück, beim zweiten Mal bringt sich schon ein Blatt vom Olivenbaum im Schnabel mit und beim dritten Mal kommt sie nicht wieder.
Der Lockdown ist zu Ende. Die Türen der Arche gehen auf, und Tiere und Menschen verteilen sich wieder auf der Erde. Ein letztes Hoffnungszeichen gibt Gott Noah und seiner Familie noch mit: den Regenbogen. „Gott sagt: Solange die Erde steht, soll nicht aufhören Saat und Ernte, Frost und Hitze, Sommer und Winter, Tag und Nacht!“ (1. Mose 8,22) Und das Zeichen für dieses Versprechen ist der Regenbogen. „Meinen Bogen haben ich in die Wolken gesetzt; der soll das Zeichen sein des Bundes zwischen mir und der Erde.“ (1. Mose 9,13)

Auch in dieser Corona-Zeit brauchen wir Hoffnungszeichen. Und es gibt sie auch. Große, wenn tatsächlich bald ein Impfstoff entwickelt ist. Viele kleine im Miteinander. Der überraschende Anruf zur rechten Zeit, das freundliche Lächeln, wenn man sich mal ohne Maske sieht, die rettende Idee, wenn etwas aussichtslos erscheint.
Machen wir es wie Noah, halten wir Ausschau nach den Hoffnungszeichen. Damit wir durchhalten.

Verena Übler


Dienstag, 24. November

Zwischenzeit

Das alte Kirchenjahr ist beendet. Das neue beginnt am kommenden Sonntag. 6 Tage ohne.  

Es ist eine Zwischenzeit. Eine Zeit für die Ewigkeit.

Es ist eine Zeit, um noch einmal zurückzuschauen. Menschen, die wir verabschiedet haben. Momente, die uns bewegt haben. Augenblicke des Glücks und der Traurigkeit. Zeit, die wir in Gottes Hand zurücklegen.

Es ist eine Zwischenzeit nur für die Ewigkeit. Eine Zeit ohne religiöse Verpflichtungen und Traditionen.

Es ist eine Zeit, um sich neu auszurichten. Ausrichten auf eine Zeit, die wir noch nicht kennen. Zeit, die ihren Rhythmus erhält durch Feste und Feiern. Zeiten, die Gott gehören. Zeiten, an denen wir uns daran erinnern, was uns mit vielen Christ*innen verbindet. In aller Welt. Zeiten, die uns Orientierung geben. Zeiten für die Ewigkeit.

Der Herr behüte unseren Eingang und Ausgang von nun an bis in Ewigkeit. Ps. 121,8

Carolin Lochner


Montag, 23. November

Immer schön der Reihe nach

Am Mittwoch haben wir im Team nochmal intensiv darüber gesprochen, wie wir in diesem Jahr genau in der Gemeinde Heiligabend und Weihnachten gestalten werden. Letztlich reden wir darüber bereits seit September. Freitagvormittag höre ich im Autoradio: „Und habt Ihr schon Mehl gekauft? Am Wochenende geht’s los mit Plätzchenbacken.“ Stimmt, nächstes Wochenende ist bereits der erste Advent. Ich dachte gerade an den Gottesdienst am Ewigkeitssonntag, auf den ich mich vorbereitete. Halt, denke ich mir. Alles hat seine Zeit und jede Zeit hat seinen Sinn. Der Ewigkeitssonntag und die Woche hin zum ersten Advent, dann die Adventszeit und schließlich Weihnachten. Ich persönlich kann mich erst nach dem Ewigkeitssonntag auf den Advent vorbereiten und Weihnachten ist erst in vier Wochen. Mittlerweile merke ich, dass es mir wichtig ist, auf diese Reihenfolge zu achten und jede Zeit mit ihrer Eigenheit zu schätzen.

Felix Breitling


Samstag, 21. November

Spuren

Ein Wissenschaftler reiste einmal durch die Wüste. Am Abend erreichte er eine Oase und setzte sich zum Sonnenuntergang vor sein Zelt. Vor dem Nachbarzelt beobachtete er einen einheimischen, jungen Mann wie er sich niederkniete.
„Was machen Sie da?“ fragte der Wissenschaftler erstaunt. „Ich bete.“ antwortete der junge Mann.
„Zu wem?“ – „Zum Höchsten.“ – „Zu Gott?“ – „Ja!“
„Haben Sie Gott denn jemals gesehen?“ – „Nein.“ – „Dann sind Sie ein Narr!“ lachte der Wissenschaftler. 
Am nächsten Morgen kroch der Wissenschaftler aus dem Zelt, streckte sich in der Dämmerung und schaute sich um. Auch sein Nachbar saß schon vor dem Zelt. 
Der Wissenschaftler sagte zu ihm: „Oh, sehen Sie nur, hier ist heute Nacht ein Kamel gewesen.“ – „Haben Sie es gesehen?“ – „Nein.“ – „Dann sind Sie aber ein merkwürdiger Wissenschaftler. Sie glauben daran, dass das Kamel hier war, ohne es gesehen zu haben?“ 
Der Wissenschaftler war empört: „Aber man sieht doch hier überall die Fußspuren des Kamels!“
In diesem Moment ging die Sonne auf in all ihrer Pracht. Der junge Mann zeigte auf sie und sagte: „Und hier sehen Sie die Fußspuren Gottes!“

Verena Übler


Freitag, 20. November

Vorlesen

Heute, am 20. November, ist der bundesweite Vorlesetag. Mehr als 550.000 Menschen lesen vor und hören zu, in Schulen, in Büchereien, in Kirchen, sogar im Zoo und an vielen anderen Orten. Wenn ich im Religionsunterricht vorlese, biblische oder andere Erzählungen, ist es meistens mucksmäuschenstill. Ich spüre den Hunger der Kinder nach Geschichten, den ich selber habe. Ich hauche den Figuren beim Vorlesen Leben ein. Ich lese Geschichten, die die Schülerinnen und Schüler zum Weiterdenken herausfordern. Ich bitte sie, selber vorzulesen, ohne Druck, aus Lust an den Geschichten und an der Sprache.

Auch in unseren Gottesdiensten lesen unsere Lektorinnen und Lektoren Sonntag für Sonntag aus der Bibel vor. An dieser Stelle: Danke dafür. Und wenn auch Sie am Sonntag im Gottesdienst lesen möchten – wir freuen uns sehr, bitte kontaktieren Sie uns.

Das Vorlesen hat in den Religionen eine lange Tradition und ich finde es faszinierend, wie Menschen so über Jahrtausende die Geschichte Gottes mit uns Menschen weitergeben.

Das Vorlesen hat einen eigenen Tag verdient. Näheres zum bundesweiten Vorlesetag finden Sie unter: www.vorlesetag.de

Felix Breitling


Donnerstag, 19. November

Gott, lass uns umkehren zu deinem Frieden

Gestern ging die Ökumenische Friedensdekade zuende, die seit 1980 jedes Jahr von Christinnen und Christen in Deutschland vom drittletzten Sonntag des Kirchenjahres bis zum Buß- und Bettag begangen wird.
Aus dem Gottesdienst, den wir gestern Abend zusammen mit der Pfarrei St. Michael in der Offenbarungskirche gefeiert haben, möchte ich die vorgetragenen Fürbitten zitieren:

Wir sehen, dass es nach wie vor viele Kriege in der Wet gibt, Kriege, von denen wir wissen und andere, die uns unbekannt sind. Kriege mit unendlichem Leid für Kinder, Frauen und Männer, Kriege mit Zerstörung von Wohnhäusern, Straßen und ganzen Städten, Kriege mit guten Verdiensten für Waffenproduzenten und für ihre Händler.

Wir sehen, dass noch immer Atomwaffen die Menschheit bedrohen und statt Abrüstungsvereinbarungen neue Waffen entwickelt werden. Stärke soll Vertrauen ersetzen.

Wir sehen, dass immer mehr Rüstung produziert und exportiert wird. Auch deutsche Unternehmen steigerten ihre Waffenexporte 2019 trotz gegenteiliger Beteuerungen der Regierung.

Wir sehen, wie die Veränderung des Klimas der Natur, den Tieren und Menschen den Lebensraum entzieht. Besonders diejenigen sind betroffen, die nicht am Wohlstand teilhaben und um ihr tägliches Überleben kämpfen müssen.

Wir sehen, wie Hass und Aggression in unserem Land um sich greifen: gegen die Reichen oder gegen die Obdachlosen, gegen die Alten oder gegen die Jungen, gegen die Linken oder gegen die Rechten, gegen die Migrant*innen oder gegen jene, die Migrantinnen und Migranten hassen,

Wir sehen, dass Menschen, die Verantwortung in Parlamenten, in Parteien, in Initiativen und zivilgesellschaftlichen Gruppen übernehmen, verächtlich gemacht oder sogar bedroht werden.

Wir bitten gemeinsam: Gott, lass uns umkehren zu deinem Frieden."

Mathias Brandstätter


Mittwoch, 18. November

Meine Zukunft ist…
Wenn Sie Ihre Zukunft mit nur einem Wort beschreiben sollten, welches wäre das?
Notieren Sie es auf einem Klebezettel und kleben Sie ihn an den Kühlschrank.
Oder lesen Sie Einträge von anderen Menschen auf der Website www.busstag.de

Ja, heute ist Buß- und Bettag. Der verkannte Feiertag (der ja keiner mehr ist). Ich gebe zu, büßen und beten, das klingt erstmal nicht besonders attraktiv. Büßergewand, Sack und Asche, Sünde, schlechtes Gewissen. Das alles brauchen wir doch wirklich nicht mehr! Das Leben ist hart genug, da muss ich nicht noch mit der Nase drauf gestoßen werden. 
Oder doch? Wie wäre es, wenn man statt büßen besinnen sagen würde? Oder neuorientieren? Damit komme ich schon besser zurecht. Ab und zu innehalten und nachdenken über mich und die Welt, das tut doch schon not und gut. 
Seit Jahren schon erarbeiten einige evangelische Landeskirchen Impulse, um sich am Buß- und Bettag mit individuellen und gesellschaftlichen Irrtümern auseinanderzusetzen.
Immer unter einem bestimmten Motto. In diesem Jahr lautet es: Zukunft offen. 
Auf dem Bild dazu gibt es einen Schalter: an aus / on off.
So ein Schalter für manche Dinge wäre super. Für Corona zum Beispiel oder wenn ich mich ausgelaugt und leer fühle. In solchen Momenten einfach den Schalter umlegen, das wär’s.
Wenn auch Sie sich danach sehnen, mal den Schalter umzulegen – auf der Website zum Buß- und Bettag 2020 gibt es viele Anregungen. 

Verena Übler


Dienstag, 17. November

Einen Anstoß geben

  • Was passiert, wenn das strahlende Gesicht  an die anderen Kugeln stößt?
  • Was kann es bewegen, anstoßen?
  • Bewegen sich die anderen Kugeln mit?
  • Oder prallt das strahlende Gesicht ab?
  • Werden womöglich aus den traurigen Gesichtern strahlende Gesichter?

Das Gesicht wird es nicht erfahren, wenn es es nicht ausprobiert.

Anstöße geben. Darauf vertrauen, etwas zu bewegen.

Nur so kann der Mut gefunden werden, loszuschwingen.

In der Gewissheit, dass uns auch etwas zum Strahlen bringt. Wir müssen es nicht aus uns heraus tun. Strahlen im Licht des Herrn und darauf vertrauen, dass ER unser Strahlen weiterträgt. Und es zum Anstoß wird, dass auch andere strahlen.

Carolin Lochner


 

Montag, 16. November

Frühmorgens kam unser Bus in Mailand an. Wir stiegen aus, gingen in eine Schule, dort bekam ich eine Adresse und eine Fahrkarte und eine kurze Beschreibung, wie ich zu der Adresse meiner Gastgeber komme. Es war das Jugendtreffen von Taizé 1998. Das Ziel, das Haus der Gastgeber, lag irgendwo außerhalb der Stadt. Zuerst fuhr ich mit einer S-Bahn, dann noch mit dem Bus. Dann stand ich vor der Tür. Ein älteres Ehepaar empfing mich. Mit mir war bei ihnen noch ein Mann, Anfang 70, aus Sachsen zu Gast. Wir alle kannten uns nicht.

2012 fand dann das Jugendtreffen von Taizé in Berlin statt. Ich hatte gerade mein Vikariat beendet, wir wohnten noch dort und nun empfingen wir als Gastgeber zwei junge Frauen aus der Ukraine. Spätnachmittags standen sie vor der Tür. Wir haben ihnen die Stadt gezeigt. Am Mittag vor ihrer Abreise ein großes Mittagessen gekocht. Ohne die Jugendtreffen von Taizé hätte ich diese Erfahrungen nicht gemacht.

„Gastfrei zu sein vergesst nicht; Denn dadurch haben einige ohne ihr Wissen Engel beherbergt“ heißt der Lehrtext der heutigen Tageslosung aus dem Hebräerbrief (Hebr. 13,2).

„Gastfrei zu sein“, das heißt hier nicht, Menschen einzuladen, die ich kenne. Es heißt offen zu sein für Begegnung.

Als der Tag am heißesten war, saß Abraham vor der Tür seines Zeltes. Da standen drei Männer vor ihm. Er bringt Wasser, um ihre Füße zu waschen und reicht im Schatten der Bäume Brot. Später bereiten ihnen Sarah, Abraham und ihre Knechte ein Festmahl zu. Schließlich wird ihnen ein Sohn verheißen.

Später dann kommen zwei Engel zu Lot. Er steht auf, geht ihnen entgegen und bereitet ihnen ein Mahl. Schließlich warnen sie ihn vor dem Untergang Sodoms.

Abraham, Sarah und Lot haben die Erfahrung gemacht: Im Gast kann Gott erscheinen. Beide habe ohne ihr Wissen Engel beherbergt. Sie hatten kaum eine Ahnung von ihren Gästen und nahmen die ihnen unbekannten Männer selbstverständlich auf. Ihre Gastfreundschaft lässt sie verändert zurück. Abraham und Sarah wachsen in ihre Verheißung hinein, Lot wird bewahrt vor dem Untergang Sodoms.

Der Hebräerbrief ermutigt dazu, sich Fremden offen zuzuwenden, grundsätzlich, immer und ohne Ansehen dessen, welcher Herkunft sie sind. Denn es könnten auch Engel sein, die einem begegnen. Die Begegnung mit ihnen kann mich und mein Leben unvermutet verändern.

Felix Breitling


Samstag, 14. November

Die Losung für den heutigen Tag steht im Psalm 92, Vers 6:
„Mein Gott, wie sind deine Werke so groß! Deine Gedanken sind sehr tief.

Können wir Gott verstehen? Können wir eins und eins zusammenzählen und mit Logik, mit Strukturanalysen, mit Erkenntnistheorie und was es noch alles gibt, Gott erfassen oder gar beweisen? 
Anselm von Canterbury, Theologe und Erzbischof des Mittelalters, hat es versucht. Er ist bekannt für seinen sogenannten „ontologischen Gottesbeweis“. Zeit seines Lebens wollte er glauben und verstehen. Er sagt: 
„Herr, ich versuche nicht, deine Tiefe zu durchdringen; mein Verstand kann dich ja auf keine Weise erreichen. Mich verlangt nur, ein wenig von deiner Wahrheit zu verstehen, die mein Herz glaubt und liebt. Denn ich suche nicht zu verstehen, um zu glauben, sondern ich glaube, um zu verstehen.“
Ist es also unmöglich, Gott zu verstehen? Vielleicht. Aber vielleicht ist es auch gar nicht notwendig. Entscheidend ist, was das Herz glaubt und liebt. Im Herzen geht es los. Da ist der Sitz des Glaubens an Gott. Da entsteht Vertrauen – Glaube ist ja nichts anderes als Vertrauen. Erklären und analysieren kann man das nicht. Aber Kraft schöpfen, das kann man. Und zur Ruhe kommen. Ein wenig von der Wahrheit erfahren und von der Liebe.
Mir gefällt, wie Kahlil Gibran, libanesischer Dichter und Philosoph (um 1900), es ausdrückt: 
„Vertrauen ist eine Oase des Herzens, die von der Karawane des Verstandes nie erreicht wird.“

Verena Übler


Freitag, 13. November

Hirschhörndlkopf
Bildrechte Felix Breitling

Kennen Sie die Hochsalwand?

Kennen Sie die Zugspitze? Den Watzmann? Den Wendelstein? Wahrscheinlich schon.

Aber kennen Sie den Hirschhörnlkopf? Den Hirschwieskopf? Die Hochsalwand? Bis vor Kurzem habe ich von diesen Bergen noch nie etwas gehört. Sie sind nicht so bekannt wie die anderen. Keine „Promis“ oder Modeberge. Aber gerade deshalb lohnt es sich, sie zu entdecken.

In einem Wanderbuch habe ich einen schönen kurzen Text gefunden: „Bei den Bergen verhält es sich wie mit den Menschen: Manche stehen im Schatten anderer. Während die Größten, Höchsten und Schönsten das Rampenlicht genießen, gibt es daneben, bei den eher Unscheinbaren, viel Interessantes zu entdecken. Wie an der Hochsalwand.“ (Helbig/Hüsler/Pröttel/Strauß, Das Wanderbuch. Bayerische Hausberge, München 2016)

Fast biblisch, finde ich. Jesus schenkt besonders den Unscheinbaren, denen, die übersehen werden und am Rand stehen, den Kleinen, seine Aufmerksamkeit. „Lasst die Kinder zu mir kommen,“ sagt er zu seinen Jüngern „denn ihnen gehört das Reich Gottes.“ Er lenkt die Aufmerksamkeit auf die, die nichts vorweisen können, keine Macht und kein Geld in den Taschen haben. Nicht auf die Größten, Höchsten und Schönsten. Er sieht diejenigen, die im Schatten stehen. Er sieht Menschen liebevoll an, so dass sie sich neu entdecken können.

Felix Breitling


Donnerstag, 12. November

Unser tägliches Brot

In einer WWF-Studie habe ich gelesen, dass in Deutschland ungefähr jedes sechste Brot nach dem Backen nie auf einen Tisch kommt. Es wird zuviel produziert und dann mangels Nachfrage aussortiert und weggeworfen, bestenfalls endet es als Tierfutter oder in einer Biogasanlage. Und es ist nicht nur das fertige Brot, das dabei verschwendet wird, sondern auch die Anbaufläche für das Getreide, aus denen diese Brote gebacken wurden. Dazu kommt noch die vergeudete Arbeitszeit bei der Herstellung und die Energie beim Transport und Backen. Die Retouren kommen dabei hauptsächlich bei den mittleren und großen Betrieben vor, dagegen ist bei kleinen Handwerksbetrieben, also dem „Bäcker um die Ecke“, der Verlust am geringsten. Wahrscheinlich, weil man dort die Kundschaft so gut kennt, dass eher nach Bedarf gebacken und auch das Brot vom Vortag noch verkauft wird.

In anderen Lebensmittelbereichen schaut es weltweit teilweise noch viel schlimmer aus.
Z.B. wird fast die Hälfte des geernteten Obstes weggeworfen, weil es - hauptsächlich wegen Abweichungen vom gewünschten Aussehen - nicht verkauft werden kann.
Und rund ein Drittel der gefangenen Fische wird weggeworfen. Unsere Meere sind überfischt, fast alle Fischbestände gehen weltweit dramatisch zurück oder stehen schon kurz vor dem Zusammenbruch - und gleichzeitig wird bildlich jeder dritte Fisch nach dem Fang weggeworfen.

Man schätzt, dass weltweit rund ein Drittel aller produzierten, gezüchteten, geernteten oder gefischten Lebensmittel nie beim Verbraucher ankommt.

Was können wir als Einzelne tun?
Wir können darauf achten, nur so viel einzukaufen, wie wir tatsächlich verbrauchen, denn für jedes weggeworfene Lebensmittel muss ein weiteres produziert werden.
Wir können regional einkaufen, um lange Transporte und Transportschäden zu vermeiden.
Wir können auch Obst und Gemüse kaufen, das nicht so schön aussieht und sonst aussortiert werden würde.
Und wir können auf die Politik Einfluß nehmen, damit mehr ressourcenschonende Produktionsmethoden gefördert werden.

Aber vor allem sollte uns immer bewusst sein, wie wertvoll Lebensmittel sind. Auch wenn sie (scheinbar) nicht viel kosten.

Mathias Brandstätter


Mittwoch, 11. November

Vom Warten

Zu mir als „Franken-Madla“ kam im evangelischen Erlangen nie der Nikolaus, sondern alljährlich am 11.11. der Belzermärdl (Pelzmärtel), besser bekannt als St. Martin. In dieser Figur sind die Traditionen vom Heiligen Nikolaus und von St. Martin verschmolzen. So bringt er den Kindern Geschenke, hat aber auch eine Rute dabei (das westmitteldeutsche Wort ‚pelzen“ bedeutet schlagen). 
Große Geschenke gab es bei mir nicht, aber ich erinnere mich an einen Teller voll mit Marzipankartoffeln (ich liebe sie heute noch) und kleinen Schokolädchen, außerdem Mandarinen und Nüssen. Die Nüsse zu knacken, war nie ganz leicht. Vor allem die Schale der Pecanüsse war manchmal so hart, dass ich dachte, die wollen nicht gegessen werden. Der süße Höhepunkt aber war der Adventskalender! So ein ganz einfacher aus Pappe mit einem aufgemalten weihnachtlichen Bild und 24 Türchen, hinter denen kleine Schokoladenmotive steckten. 
Ein Adventskalender am 11. November! Puh, das war eine Herausforderung. Drei Wochen zu früh! Drei Wochen Warten, bis das erste Türchen geöffnet werden konnte. 
Warten ist nicht nur für Kinder eine Herausforderung. Auch unter den Erwachsenen gibt es viele, deren zweiter Name „Ungeduld“ ist. Bis das Teewasser kocht, bis die U-Bahn kommt, bis man in der Post den Schalter erreicht hat, bis ein verstauchter Fuß verheilt ist, bis eine Klausur korrigiert ist, bis die Probezeit um ist, bis der ersehnte Brief eintrifft, bis ein Impfstoff gegen Corona entwickelt ist – Warten zerrt an den Nerven. 
Auch in der Bibel wird viel gewartet. Sara wird uralt bis sie endlich ein Kind bekommt, Jakob muss 14 Jahre arbeiten bis er seine Rahel heiraten darf, Noah schickt nach dem Raben noch zweimal die Taube aus, bis endlich wieder trockenes Land in Sicht ist, der Prophet Jeremia macht den Israelit*innen im Exil Mut, dass sie die Heimat wiedersehen werden. 
In den Psalmen geht es immer wieder darum, dass wir Menschen am Warten nicht verzweifeln sollen. So heißt es in Psalm 130, 6: „Meine Seele wartet auf Gott, mehr als die Wächter auf den Morgen.“
So wie die Nachtwächter auf die ersten Lichtstrahlen des Morgengrauens warten oder heutzutage das Nachtschicht-Personal im Krankenhaus, so kann unsere Seele geduldig warten, denn sie weiß: Das Licht wird kommen. Jeden Tag neu.

Verena Übler


Dienstag, 10. November

 

 

 

 

 

 

 

 

Glaubenssymbol

Heute, am 10.11., wurde Martin Luther 1483 geboren.

Er hat sein eigenes Glaubenssymbol entwickelt. Ein - wie ich finde - sehr schönes, inhaltsreiches und tiefsinniges Zeichen, das dazu anregt, sein eigenes Glaubenssymbol zu überlegen.

Martin Luther erklärte selbst die Einzelsymbole seines Glaubenssymbols:

Kreuz Das erste sollte ein Kreuz sein - schwarz –

Herz im Herzen, das seine natürliche Farbe hätte. Denn so man von Herzen glaubt, wird man gerecht...

Rose Solch Herz soll mitten in einer weißen Rose stehen, anzeigen, dass der Glaube Freude, Trost und Friede gibt ... darum soll die Rose weiß und nicht rot sein; denn weiße Farbe ist der Geister und aller Engel Farbe.

Himmel Solche Rose steht im himmelfarbenen Feld, dass solche Freude im Geist und Glauben ein Anfang ist der himmlische Freude zukünftig ...

Goldener Ring Und um solch ein Feld einen goldenen Ring, dass solche Seligkeit im Himmel ewig währt und kein Ende hat und auch köstlich über alle Freude und Güter, wie das Gold das edelste köstlichste Erz ist ..."

Und was ist Ihr Glaubenssymbol?

Carolin Lochner


 

Montag, 9. November

Jeder Mensch hat einen Namen - Gedenken an den 9. November 1938

„Dieser Tanzsaal des Alten Rathauses war jahrhundertelang Schauplatz bürgerschaftlicher und stadtherrlicher Zusammenkünfte und Feste. Das nationalsozialistische Regime missbrauchte diesen Ort für die Planung antisemitischer Verbrechen. Im Verlauf einer Parteifeier am Abend des 9. November 1938 wurden die seit Tagen in vielen Städten des Reiches angezettelten antijüdischen Ausschreitungen hier zu einem deutschlandweiten Pogrom ausgeweitet. Als ,Reichskristallnacht‘ war dieses Pogrom Vorstufe der Vernichtung des europäischen Judentums.“ So lautet der Text der Gedenktafel am Alten Rathaus in München.

Hier hielt der Propagandaminister der nationalsozialistischen Regierung Joseph Goebbels am 9. November 1938 während einer Parteifeier eine antisemitische Hetzrede, auf die hin Schlägertrupps der Nationalsozialisten in Deutschland und Österreich Menschen jüdischen Glaubens misshandelten, deren Wohnungen und Geschäfte plünderten und zerstörten und Synagogen anzündeten. Mehr als 30.000 männliche Juden wurden von den Nationalsozialisten am 10. November in Konzentrationslager deportiert.

Das Gedenken an den 9. November 1938 in München „Jeder Mensch hat einen Namen“ findet in diesem Jahr ausschließlich digital statt. An der digitalen Namenslesung um 15.00 Uhr und am digitalen Gedenkakt um 19.00 Uhr können Sie teilnehmen unter  www.gedenken9nov38.de

Felix Breitling


Samstag, 7. November

Covid 19 – ABC

Abstand
Berührung
Corona
Desinfizieren
Existenzangst
Fragil
Gesundheit-Gemeinschaft-Geduld
Hoffnung
Intensivstation 
Journalismus
Kontakt
Liebe
MundNaseBedeckung
Nebeneinander
Offenheit
Privatsphäre
Querdenken?
Resilienz
Singen
Trost
Unsicherheit
Vertrauen
Warten
X oder U?
Yoga
Zusammenhalt!

Verena Übler


Freitag, 6. November

… und hätte die Liebe nicht

Vor einiger Zeit sagte jemand zu mir, als wir uns über die Kirche unterhielten: „Hey, eigentlich doch eine unglaubliche Botschaft, die Ihr als Kirche habt: Liebe. Ist Dir das eigentlich bewusst? Liebe deinen Nächsten wie dich selbst. Liebet eure Feinde. Warum tun wir uns damit eigentlich so schwer?“

Die Künstlerin Sabine Kammerl hat 2008 eine Installation an der Klostermauer St. Anton in der Kapuzinerstraße geschaffen. In goldenen Buchstaben hat sie die Worte „und wüsste ich alle Geheimnisse und hätte alle Erkenntnis und hätte die Liebe nicht, so wäre ich nichts“ aus dem „Hohelied der Liebe“ im  1. Korintherbrief an der Mauer angebracht. Tausende Autos fahren tagtäglich an diesen Worten vorbei. Die Mauer von St. Anton gehört zu meinen „besonderen Orten“ in München.

Kapuzinerstraße
Bildrechte Felix Breitling

"Wenn ich mit Menschen- und mit Engelzungen redete und hätte der Liebe nicht, so wäre ich ein tönendes Erz oder eine klingende Schelle.

Und wenn ich prophetisch reden könnte und wüsste alle Geheimnisse und alle Erkenntnis und hätte allen Glauben, sodass ich Berge versetzen könnte, und hätte der Liebe nicht, so wäre ich nichts.

Und wenn ich alle meine Habe den Armen gäbe und meinen Leib dahingäbe, mich zu rühmen, und hätte der Liebe nicht, so wäre mir's nichts nütze.

Die Liebe ist langmütig und freundlich, die Liebe eifert nicht, die Liebe treibt nicht Mutwillen, sie bläht sich nicht auf, sie verhält sich nicht ungehörig, sie sucht nicht das Ihre, sie lässt sich nicht erbittern, sie rechnet das Böse nicht zu, sie freut sich nicht über die Ungerechtigkeit, sie freut sich aber an der Wahrheit; sie erträgt alles, sie glaubt alles, sie hofft alles, sie duldet alles.

Die Liebe höret nimmer auf, wo doch das prophetische Reden aufhören wird und das Zungenreden aufhören wird und die Erkenntnis aufhören wird. Denn unser Wissen ist Stückwerk und unser prophetisches Reden ist Stückwerk. Wenn aber kommen wird das Vollkommene, so wird das Stückwerk aufhören. Als ich ein Kind war, da redete ich wie ein Kind und dachte wie ein Kind und war klug wie ein Kind; als ich aber ein Mann wurde, tat ich ab, was kindlich war. Wir sehen jetzt durch einen Spiegel in einem dunklen Bild; dann aber von Angesicht zu Angesicht. Jetzt erkenne ich stückweise; dann aber werde ich erkennen, gleichwie ich erkannt bin.

Nun aber bleiben Glaube, Hoffnung, Liebe, diese drei; aber die Liebe ist die größte unter ihnen."  (1. Korinther 13)

Felix Breitling


Donnerstag, 5. November

Das neue Jerusalem

Durch die Eingangstür der Offenbarungskirche bin ich in den vielen Jahren, in denen ich hier in Berg am Laim wohne, sicher schon sehr oft in die Kirche gegangen. Aber so richtig bewusst betrachtet habe ich sie früher eigentlich nie.
Das Glasstück mit dem Lamm darauf, das in die Tür eingelassen ist, das hatte ich natürlich wahrgenommen. Und ich fand es immer besonders schön, wenn abends in der Kirche die Lichter an waren, und das Lamm durch die geschlossene Tür nach außen strahlte. Und umgekehrt, wenn tagsüber das Sonnenlicht nach innen leuchtete.
Aber die seltsamen Formen an der Außenseite, die teilweise wie Buchstaben aussehen, über die hatte ich mir eigentlich keine Gedanken gemacht.

Bis ich dann vor kurzem die Beschreibung des neuen Jerusalem im 21. Kapitel der Offenbarung der Johannes las. Und plötzlich verstand ich die Symbole auf der Eingangstür zur Offenbarungskirche besser.  

Ab dem 10. Vers heißt es: „Und er führte mich hin im Geist auf einen großen und hohen Berg und zeigte mir die heilige Stadt Jerusalem herniederkommen aus dem Himmel von Gott, die hatte die Herrlichkeit Gottes; ihr Leuchten war gleich dem alleredelsten Stein, einem Jaspis, klar wie Kristall; sie hatte eine große und hohe Mauer und hatte zwölf Tore und auf den Toren zwölf Engel und Namen darauf geschrieben.“

Und der 23. Vers lautet: „Und die Stadt bedarf keiner Sonne noch des Mondes, dass sie ihr scheinen; denn die Herrlichkeit Gottes erleuchtet sie, und ihre Leuchte ist das Lamm.“

Bei nächster Gelegenheit zählte ich gleich die Zeichen nach. Ja, es sind genau zwölf. Und ich erkannte nun auch, was sie darstellen sollen, nämlich die zwölf Tortürme des neuen Jerusalems. Und das in die Tür eingelassene Glas mit dem Lamm darauf, das so schön leuchtet – für mich eine fast wörtliche Übersetzung des 23. Verses.

Schon im Mittelalter war für die zum Himmel strebenden gotischen Kathedralen die biblische Beschreibung des neuen oder himmlischen Jerusalem auf Erden ein ganz wichtiges Leitmotiv. Und sie waren auch immer mit herrlichen bunten Glasfenstern geschmückt, die wie die in der Offenbarung beschriebenen Edelsteine wirken sollten.
Seitdem sehe ich die Eingangstür, die übrigens von der Münchner Bildhauerin Marie Luise Wilckens entworfen wurde, mit ganz anderen Augen. Sie zeigt ein Stück aus der Offenbarung des Johannes, und sie stellt auch eine zeitliche Verbindung her, die bis zu den prächtigen mittelalterlichen Kathedralen reicht.  

Mathias Brandstätter


Mittwoch, 4. November

Dennoch

Die Lyrikerin Hilde Domin sagt von sich: 
„Ich bin ein „Dennoch-Mensch“, weil ich hab es schwer gehabt aber ich wollte das im Leben, was ich lieben kann, dennoch lieb haben. Ich meine, dass man immer dankbar sein muss, dass ein Wunder passieren kann und das Wunder ein Dennoch geschieht.“

Unsere Zeit jetzt kann nicht mit der verglichen werden, in der Hilde Domin gelebt hat. Ihr Schicksal als Jüdin in Nazideutschland, mit Flucht, Exil und am Ende Rückkehr nach Deutschland ist außergewöhnlich.
Ihr ‚dennoch‘ ist also nicht mein ‚dennoch‘. Aber es macht mir Mut. Es weckt den Trotz in mir, mich nicht unterkriegen zu lassen. Nicht den Kopf hängen zu lassen, nicht aufzugeben, nicht zu verzweifeln. 
Dennoch bedeutet, erstmal nur an den nächsten Schritt zu denken, eine Chance zu ergreifen, Trost anzunehmen, Hoffnungsschimmer zu entdecken, Vertrauen zu wagen oder wie die Dichterin sagt:

„Nicht müde werden, sondern dem Wunder, leise, wie einem Vogel die Hand hinhalten.“

Verena Übler


Dienstag, 3. November

Das Geschenk

Es liegt einfach da. Auf ihrem Wohnzimmertisch. Graues Glanzpapier mit einer blauen breiten Schleife. Perfekt und liebevoll gepackt und gebunden. So schön liegt es auf dem Wohnzimmertisch. Ein Fußball würde gut hineinpassen. Oder eine Torte. Vielleicht auch ein Buch oder zwei. Hmh… Was sich wohl in darin befindet…? Es ist nicht besonders schwer, aber doch stabil in seiner Form.

Vorsichtig löst sie die Schleife und legt sie zur Seite. Sie entfaltet behutsam das Papier und staunt nicht schlecht. Das Geschenk enthält nichts. Sie kehrt das Papier noch einmal auf die andere Seite, aber auch da kann sie nichts entdecken. Nichts. Gar nichts.

Sie blickt im Raum umher. Wo ist das Geschenk denn hin?

Und auf einmal ist es ihr, als ob das Geschenk überall ist. Als ob es im Raum tanzt. Ganz leicht wird es ihr zumute. Sie fühlt sich beschenkt. Beschenkt mit dem Gefühl, dass es jemand gut meint mit ihr. Sich um sie bemüht. Und sie gerade daran erinnert hat, dass sie so vieles hat im Leben. Es ist schon alles da. Lächelnd bindet sie die Schleife wieder um das Papier. Es soll auf dem Wohnzimmertisch stehen bleiben. Gefüllt mit Leichtigkeit und Freude und als Erinnerung. Als Erinnerung daran, dass sie reich beschenkt ist. Unbezahlbar reich.

Carolin Lochner


Montag, 2. November

Die kritische Funktion des biblischen Wortes für die Gesellschaft und für uns selbst erkennen

„Wir versuchen, aus der biblischen Botschaft nicht nur die private Heilsmitteilung an jeden einzelnen von uns zu lesen. Wir versuchen, auch die kritische Funktion des biblischen Wortes für die Gesellschaft und für uns selbst zu erkennen und zu übernehmen. Jesus gab sich zu seiner Zeit nicht mit der Lage der Dinge zufrieden. Die Ordnung der damaligen Gesellschaft rief seinen Protest hervor. Er verhieß für die Zukunft ein anderes Reich.“

Diese Sätze stammen aus dem Buch „Politisches Nachtgebet in Köln“, das 1969 von Dorothee Sölle und Fulbert Steffensky herausgegeben wurde. Ich wäre gerne bei diesen Politischen Nachtgebeten dabei gewesen. Es ging um Themen wie „CSSR –Santo Domingo – Vietnam“, um „Diskriminierungen“, um „Glaube und Politik“. Bei den politischen Nachtgebeten wurde zu bestimmten Themen informiert, es wurde gesungen und gebetet.

Ein Kollege von mir im Ruhestand, der die bewegten 68er als Pfarrer miterlebt hat, hat mich auf ein Interview „zu protokoll“ von Günter Gaus mit Dorothee Sölle aus dem Jahr 1969 aufmerksam gemacht. Es ist ein theologisches Zeitzeugnis, dauert 50 Minuten, erfordert einiges an Konzentration und lohnt sich sehr.

Über diesen Link können Sie das Interview ansehen:

https://www.youtube.com/watch?v=vXCbrxEasbM

Felix Breitling